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Die Regenwasserexperten

Allgemeines zum Wasserrecht

Wer kann Gesetze erlassen?

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderal aufgebauter Staat, in dem primär die Länder die Gesetzgebungsbefugnis haben. Nur in bestimmten Rechtsbereichen, die den Prinzipien der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung unterliegen, hat in erster Linie der Bund das „Sagen“. Der weitaus größte Teil des Umweltrechts unterliegt diesen beiden Prinzipien.

Konkurrierende Gesetzgebung

Rechtsgebiete, für die ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher, einheitlicher Regelung besteht, unterliegen der konkurrierenden Gesetzgebung. Zu diesen Rechtsgebieten, die in Artikel 74 und 74a (Grundgesetz) abschließend aufgezählt sind, gehört seit der Föderalismusreform 2006 auch das Wasserrecht.

Auf diesen Rechtsgebieten können die Länder nur in den Teilbereichen, die von Seiten des Bundes (noch) nicht geregelt sind, Gesetze erlassen. So dürfen z. B. durch das Landesabfallgesetz nur die Aspekte behandelt werden, die im Kreislaufwirtschaftsgesetz nicht geregelt sind.

Rahmengesetzgebung 

Die Gebiete, auf denen der Bund die Befugnis zum Erlass von Rahmenvorschriften hat, sind in Art. 75 des Grundgesetzes abschließend aufgeführt. Dazu zählte bis zur Föderalismusreform 2006 auch das Rechtsgebiet des Wasserhaushaltes. Auch die Rahmenvorschriften sind unmittelbar geltendes Recht, sie lassen den Ländern aber Raum für eine detailliertere Ausgestaltung. So setzte das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes bis zur Novellierung 2009 den Rahmen für die verschiedenen Landeswassergesetze.

Rangordnung der verschiedenen Rechtsvorschriften 

An oberster Stelle der Rangordnung der Rechtsquellen steht das Grundgesetz. Alle weiteren Rechtsvorschriften müssen mit dem Grundgesetz vereinbar sein und dürfen diesem nicht widersprechen (Verfassungsmäßigkeit). Im Range danach stehen die einfachen Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden - also, je nach Zuständigkeit, die Bundes- oder die Landesgesetze. Darunter folgen die Rechtsverordnungen, die eben¬falls unmittelbar geltendes Recht sind, jedoch - aufgrund festgeschriebener Ermächtigung - von einem Ministerium (Bund oder Land) erlassen werden. Des Weiteren folgen die Ver¬waltungs¬vorschriften und Richtlinien, die ebenfalls von einzelnen Ministerien selbst erlassen werden. Sie richten sich in erster Linie an Verwaltungen, nicht an Bürger oder Betriebe. Da jedoch Verwaltungen dazu verpflichtet sind die Verwaltungsvorschriften umzusetzen, beinhalten auch sie letztendlich verbindliche Regelungen für die Betroffenen.

EU-Recht und Deutsches Umweltrecht

Die Bundesrepublik hat einerseits, wie auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bestimmte Zuständigkeiten zur Gesetzgebung auf die Organe der EU übertragen. Andererseits hat sie sich gegenüber den anderen Staaten dazu verpflichtet, ihre Gesetzgebung den von der EU gefassten Beschlüssen anzupassen. So gibt es einerseits EU-Verordnungen, die von den Organen der EU erlassen werden und die unmittelbar für alle Bürger der EU verbindlich sind. Ein Beispiel dafür ist die Verordnung 2078/92 für umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende landwirtschaftliche Produktionsverfahren. Andererseits gibt es EU-Richtlinien, die sich nicht an die Bürger, sondern an die Mitgliedsstaaten der EU richten. Durch diese Richtlinien werden die Staaten in die Pflicht genommen, bestimmte Gesetze oder Verordnungen zu erlassen bzw. bereits bestehende Gesetze oder Verordnungen entsprechend anzupassen. EU-Richtlinien sind also kein unmittelbar geltendes Recht, sondern haben erst Auswirkungen auf den Bürger und die Betriebe, wenn sie innerstaatlich umgesetzt sind. Setzt ein Mitgliedsstaat die Richtlinie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist in geltendes Recht um, so droht eine Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof. In der Bundesrepublik Deutschland kann die Umsetzung entsprechend dem föderalen Prinzip sowohl durch den Bund als auch durch die Länder erfolgen, je nach Zuständigkeit.

Regeln der Technik, Stand der Technik, Stand der Wissenschaft

Neben den gesetzlichen Vorgaben spielen die Allgemeinen Regeln der Technik bzw. der Stand der Technik eine entscheidende Rolle für die Ingenieurspraxis. Folgende Begriffe sind in diesem Zusammenhang zu unterscheiden:

Allgemein anerkannte Regeln der Technik

Der Begriff „Allgemein anerkannte Regeln der Technik (a. a. R. d. T.)“ ist eine im Umweltrecht gebrauchte Charakterisierung des technologischen Entwicklungszustandes eines Verfahrens. Wie „Stand der Technik“ und „Stand der Wissenschaft und Technik“ sind die a. a. R. d. T. ein unbestimmter Rechtsbegriff.

Als allgemein anerkannte Regeln der Technik sind die auf wissenschaftlichen Grundlagen und fachlichen Erkenntnissen beruhenden Regeln anzusehen, die in der praktischen Anwendung erprobt sind und von der Mehrheit der auf dem jeweiligen Fachgebiet tätigen Fachleuten regelmäßig angewandt werden. Bei schriftlich niedergelegten Regeln ist die Tatsache, dass sie in einem förmlichen Anerkennungsverfahren, z. B. im Rahmen der Bewertung durch technisch-wissenschaftliche Verbände, entstanden sind, als wichtiger Hinweis zu werten, dass es sich um allgemein anerkannte Regeln der Technik handelt. Dies trifft bezogen auf die Wasserwirtschaft für die Regelwerke von ATV und DVWK zu.

Ein Gesetz oder eine Verordnung kann auf die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ verweisen. Der Nachteil dieser Lösung besteht jedoch darin, dass die Rechts¬ordnung mit dem Maßstab der allgemein anerkannten Regeln stets hinter einer weiter¬strebenden technischen Entwicklung herhinkt (LIMBACH, 1996).

Stand der Technik

Auch der Begriff „Stand der Technik“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff für die Kennzeichnung des Niveaus eines technologischen Entwicklungsstandes. Der Stand der Technik ist z. B. im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) als Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung als Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen lässt, charakterisiert. Der Stand der Technik geht über die allgemein anerkannten Regeln der Technik hinaus und berücksichtigt auch neuere Entwicklungen. Bei der Formel vom Stand der Technik gestaltet sich die Feststellung und Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen für Behörden und Gerichte allerdings schwieriger. Sie müssen in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker eintreten, um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist (LIMBACH, 1996).

Stand der Wissenschaft

Wie „Stand der Technik“ ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zusätzlich diejenige Vorsorge gegen Schäden beinhaltet, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Der „Stand der Wissenschaft“ geht damit über den „Stand der Technik“ deutlich hinaus. Verwendung findet der Begriff z. B. im Atomrecht, in der Wasserwirtschaft ist er dagegen nicht gebräuchlich.

Beste verfügbare Techniken

Die drei o. a. Begriffe „a. a. R. d. T.“, „Stand der Technik“ und „Stand der Wissenschaft“ sind seit langem gebräuchliche Begriffe im bundesdeutschen Umweltrecht. Im Zuge der neuesten EU-Richtlinien wird nun der neue Begriff „Beste verfügbare Techniken“ verwendet. Im Sinne der Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (96/61/EG) bezeichnet der Ausdruck „Beste verfügbare Techniken“ den effizientesten und fortschrittlichsten Entwicklungsstand der Tätigkeiten und entsprechenden Betriebsmethoden, der spezielle Techniken als praktisch geeignet erscheinen lässt, grundsätzlich als Grundlage für die Emissionsgrenzwerte zu dienen, (um Emissionen in und Auswirkungen auf die gesamte Umwelt allgemein zu vermeiden oder, wenn dies nicht möglich ist, zu vermindern;

Techniken“ sowohl die angewandte Technologie als auch die Art und Weise, wie die Anlage geplant, gebaut, gewartet, betrieben und stillgelegt wird;

verfügbar“ die Techniken, die in einem Maßstab entwickelt sind, der unter Berücksichtigung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses die Anwendung unter in dem betreffenden industriellen Sektor wirtschaftlich und technisch vertretbaren Verhältnissen ermöglicht, unabhängig davon, ob diese Techniken innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats verwendet oder hergestellt werden, sofern sie zu vertretbaren Bedingungen für den Betreiber zugänglich sind;

beste“ die Techniken, die am wirksamsten zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt sind.

Der Begriff „Beste verfügbare Techniken“ geht damit über die bisher verwendeten Definitionen hinaus. Eine langjährige Erfahrung wie bei den „a. a. R. d. T.“ wird nicht gefordert. Dagegen ist die Wirkung der technischen Maßnahme auf den Umweltschutz zu berücksichtigen. Mit der 6. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes (damals §7a heute §57) wurde der Begriff „Stand der Technik“ in Bezug auf den Gewässerschutz dem Begriff „Beste verfügbare Technik“ gleichgestellt.

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Wegweiser

Autor
Prof. Dr.-Ing. Heiko Sieker
+49 3342 3595-0
h.sieker[at]sieker.de