Sieker
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Die Regenwasserexperten

Berücksichtigung von Problemstoffen

Vorbemerkungen

Mit Einführung der künstlichen biologischen Abwasserreinigung durch Belebungsanlagen und Tropfkörper zeigte sich bald, dass bestimmte Stoffe im Abwasserzulauf Probleme verursachen können. Diese Probleme stellen sich als Rückgänge bei der Reinigungsleistung bis hin zum vollständigen Ausfall von Anlagen infolge des Absterbens des Belebtschlamms bei toxischen Konzentrationen dar.

Die Abwasserfachleute haben deshalb sehr zeitig mit der näheren Untersuchung dieser Phänomene begonnen. Neben der Identifikation und listenmäßen Erfassung jener Stoffe, die für abbauhemmende oder giftige Wirkungen verantwortlich gemacht werden müssen, geht es hierbei vor allem darum, die maßgeblichen ökotoxikologischen Schwellwerte zu bestimmen. Konzentrierten sich diese Untersuchungen bis zu Beginn der 90´er Jahre auf die Hemmung des Abbaus der organischen Stoffe (CSB), wurde danach auch der Inhibierung des Abbaus der Stickstoffverbindungen entsprechendes Interesse gewidmet. Beispiele für derartige Untersuchungen und Aufstellungen sind:

  • BLUM/SPEECE, 1991

  • WOTZKA et al., 1993

  • WOTZKA et al., 1994

  • WALTER et al., 1998

  • PETERS et al., 1999

  • WALTER et al., 1999

  • HILEMAN, 2001

  • JOHNSON/SUMPTER, 2001

  • WINSLOW et al., 2001

So interessant und überzeugend alle diese Veröffentlichungen auch sein mögen, darf ihre Aussagekraft doch nicht überschätzt werden:

Aussagen zur Abbauhemmung oder zu toxischen Wirkungen von Abwasser gelten immer nur unter den konkreten Bedingungen des jeweiligen Versuchs, d.h. für die jeweils zutreffende Zusammensetzung des Abwassers (“Abwassermatrix”), die eingesetzte Behandlungstechnologie und die gewählte Betriebsweise der Kläranlage.

Problemstoffe/-stoffgruppen

Mit Blick auf die Möglichkeiten der dynamischen Kläranlagensimulation mit STOAT ist bei den Problemstoffen bzw. Problemstoffgruppen grundsätzlich zu unterscheiden, ob sie sich “nur” dem biochemischen Abbau entziehen oder ob sie eine Schädigung der für den biologischen Abbau verantwortlichen Mikroorganismen (Wachstumshemmung, Störung der Stoffwechselvorgänge, Störung der Zellatmung usw.) bewirken. Der erstgenannte Effekt ist im Wege der Fraktionierung des CSB zu berücksichtigen (ein hoher Anteil persistenter oder refraktärer Substanzen führt zu einem entsprechend hohen Anteil von COD soluble, nondegradable). Einige Beispiele für schwer abbaubare Stoffe werden nachfolgend aufgeführt.

Schwerabbaubare Stoffe

  • 1,1,2-Trichlorethan

  • Alkylphenolethoxylate

  • Carboxyalkylphenoxyethoxycarboxylate (CAPEC's)

  • Cyclohexan

  • Dieldrin

  • Dioxin

  • Ethylendiamintetraacetat (EDTA)
  • Hexachlorbenzol

  • Lindan

  • Metaboliten von linearen Alkylbenzolsulfonaten (anionische Tenside)

  • Methylpyrrolidon

  • Nonylphenolethoxylate

  • Pentachlorphenol

  • polychlorierte Biphenyle

  • Stoffe mit Dicarboxylgruppen

  • Tetrachlorethen

  • Trichlorethen

Bei den Stoffen bzw. Stoffgruppen, die eine toxische oder abbauhemmende Wirkung haben, ist wiederum zu unterscheiden, welche Gruppe von Mikroorganismen geschädigt wird:

1.    aerobe heterotrophe Organismen, die für die Umwandlung organischen Materials (=CSB) in Kohlendioxid und Wasser zuständig sind (diese dominieren in Belebtschlammanlagen)

2.   methanogene Organismen, die unter anaeroben Bedingungen organisches Substrat (=CSB) in Kohlendioxid und Methan umwandeln (empfindlichste Akteure innerhalb bakterieller Biozönosen)

3.    Nitrifikanten der Spezies Nitrosomonas, die Ammonium zu Nitrit oxidieren (wichtigste Akteure des ersten und empfindlichsten Schritts der biologischen Oxidation von anorganischem Stickstoff)

Die Empfindlichkeit von aeroben heterotrophen und methanogenen Organismen ist in etwa vergleichbar. Nitrifikanten der Spezies Nitrosomonas haben demgegenüber eine um eine Zehnerpotenz höhere Empfindlichkeit.

Negative Wirkungen auf das Wachstum von Mikroorganismen haben grundsätzlich:

  • stark oxidierende Stoffe

  • Chlor und Chlorverbindungen

  • Iod und Iodverbindungen

  • Peroxide

  • Ozon

  • Alkohole

  • Phenolverbindungen

  • quaternäre Ammoniumsalze

  • oberflächenaktive Substanzen

  • Stickstoffverbindungen (Natriumazid, Formaldehydkondensate, Nitrite, Nitrile, Nitroderivate, Pyridine, Thiazole, Aminderivate)
  • polymere antibakterielle Substanzen

  • Quecksilbersalze

  • extreme pH-Werte

  • Organozinnverbindungen (z.B. Tetrabutylzinn)

  • Kupfer- und Zinkinhibitoren (z.B. Kupfersulfat)

Bei Differenzierung nach der jeweils betroffenen Gruppe von Mikroorganismen entsprechend der oben genannten drei Kategorien können beispielhaft nachfolgende Stoffe bzw. Stoffgruppen genannt werden.

Stoffe, die aerobe Heterotrophe beeinträchtigen können

  • Acrylate (z.B. Butylacrylat)

  • Acrylonitrile

  • aktivchlorhaltige Substanzen (z.B. Natriumhypochlorit, Natriumdichlorisocyanurat, Trichlorisocyanurat)

  • Aldehyde

  • Chrom(VI)-Verbindungen

  • Nitrobenzol

  • Nitrophenole (z.B. 2,4-Dinitrophenol)

  • Tetrachlorphenol

Stoffe, die methanogene Organismen beeinträchtigen können

  • Acrylate (z.B. Butylacrylat)

  • Acrylonitrile

  • Alkane (z.B. Dodecan)

  • chlorierte aliphatische Kohlenwasserstoffe

  • chlorierte Alkohole (z.B. 2,2,2-Trichlorethanol)

  • Stoffe mit Nitroverbindungen als funktionelle Gruppen (z.B. Nitrophenole)

Nitrifikationshemmende Stoffe

  • 2,4-Dinitrophenol

  • Aceton

  • Acrylate (z.B. Butylacrylat)

  • Acrylonitrile

  • Allylalkohol

  • Allylchlorid

  • Allylisothiocyanat

  • Allylthioharnstoff (ATH)

  • Anilin

  • Benzyldimethyldodecylammoniumbromid (BDMDAB)

  • Chloroform

  • Cyanoguanidin

  • Ethanol

  • Guanidincarbonat

  • Hydrazin

  • Kaliumchlorat

  • Methylisothiocyanat

  • Natriumcyanid

  • Natriummethyldithiocarbamat

  • o-, m- und p-Kresol

  • Phenol

  • Schwefelkohlenstoff

  • Thioacetamid

  • Trimethylamin

Der wohl bekannteste Stoff zur Hemmung der Nitrifikation ist zweifellos Allylthioharnstoff (ATH). Es wird bei der labormäßigen Bestimmung des BSB5 zur Maskierung des Sauerstoffbedarfs für die Ammoniumoxidation eingesetzt. Es ist unschwer zu erkennen, dass Problemstoffe im Abwasser kein triviales Feld sind. Es wird im Zweifelsfall empfohlen, ein etabliertes Stoffverzeichnis zu Rate zu ziehen.

Berücksichtigung abbauhemmender oder toxischer Effekte unter STOAT

Üblicherweise erreicht die Konzentration einzelner Problemstoffe im Zulauf eines Klärwerks nicht jene Werte, die für eine signifikante Hemmung des Biomassewachstums erforderlich sind. Dennoch ist es sinnvoll, bekannte inhibierende Stoffe bei der Kläranlagensimulation zu berücksichtigen. Soweit für einen Stoff belastbare Ergebnisse von Hemmtests unter Verwendung von Inoculum aus der Anlage vorliegen, ist dies unter STOAT auch vergleichsweise einfach möglich. Dazu werden aus den Ergebnissen der Hemmtests Kennwerte abgeleitet, die in die «Sewage calibration data» eingebaut werden und - in Abhängigkeit der Konzentration des betreffenden Stoffs - eine mathematische Erniedrigung der Wachstumsgeschwindigkeit und/oder eine Erhöhung der Sterberate der jeweils betroffenen Gruppe von Mikroorganismen bewirken.

LITERATUR

BLUM/SPEECE, 1991: Blum, D. J. W.; Speece, R. E. A database of chemical toxicity to environmental bacteria and its use in interspecies comparisons and correlations. Research Journal Water Pollution Control Federation, Volume 63 (1991), Number 3, page 198-207.

HILEMAN, 2001: Hileman, B. Troubled Waters. C&EN Chemical & Engineering News,Volume 79, Number 48, December 3, 2001, page 31-33.

JOHNSON/SUMPTER, 2001: Johnson, A. C.; Sumpter, J. P. Removal of Endocrine-Disrupting Chemicals in Activated Sludge Treatment Works. Environmental Science & Technology (ES&T), Vol. 35, No. 24, 2001, pp. 4697-4703.

PETERS et al., 1999: Peters, C. A.; Knightes, C. D.; Brown, D. G. Long-Term Composition Dynamics of PAH-Containing NAPLs and Implications for Risk Assessment. Environmental Science & Technology (ES&T), Vol. 33, No. 24, 1999, pp. 4499-4502.

WALTER et al., 1998: Walter, R.; Rensch, I.; Wegewitz, M. Versuche zur hemmenden Wirkung der mikrobiellen Nitrifikation durch Testsubstanzen und Testsubstanzgemische. WLB Wasser, Luft und Boden 11-12/1998, S. 43-44.

WALTER et al., 1999: Walter, R.; Rensch, I.; Stevenz, S. Einfluss des pH-Wertes auf die Nitrifikationshemmung durch unterschiedliche Testsubstanzen. WLB Wasser, Luft und Boden 5/1999, S. 32-34.

WINSLOW et al., 2001: Winslow, S. D.; Pepich, B. V.; Basset, M. V.; Wendelken, S. C.; Munch, D. J.; Sinclair, J. L. Microbial Inhibitors for U.S. EPA Drinking Water Methods for the Determination of Organic Compounds. Environmental Science & Technology (ES&T), Vol. 35, No. 20, 2001, pp. 4103-4110.

WOTZKA et al., 1993: Wotzka, J.; Pfitzner, S.; Giest, B. Biochemische Abbaubarkeit ausgewählter organischer Verbindungen; Teil 1. Deutsche Gewässerkundliche Mitteilungen 37. Jahrgang (1993), H. 5/6 S. 106-113.

WOTZKA et al., 1994: Wotzka, J.; Pfitzner, S.; Giest, B. Biochemische Abbaubarkeit ausgewählter organischer Verbindungen; Teil 2. Deutsche Gewässerkundliche Mitteilungen 38. Jahrgang (1994), H. 1/2 S. 10-17.

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