Sieker
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The Stormwater Experts

Überflutungsnachweise nach DIN 1986-100

Flood events occurrence

Der Klimawandel verändert die Häufigkeit einzelner Wetterlagen und sorgt für zunehmende Starkniederschläge. Vor allem Städte und städtisch geprägten Regionen reagieren schnell auf diese Extremwetterereignisse, welche zu immensen materiellen Schäden an Infrastruktur und Gebäuden führen als auch viele Menschen in Gefahr bringen. Zudem potenziert die dichte Bebauung in hoch verdichteten Gebieten sowie die weitere  Nachverdichtung das Auftreten von urbanen Überflutungen. Heftige, häufig lokal bzw. regional begrenzte Regenfälle belasten die Kanalisation und Vorflut bis zum Überstauen oder können von diesen gar nicht erst aufgenommen werden, so dass Regenwasser unkanalisiert und teilweise sturzflutartig abfließt und Geländesenken, Keller, Straßenunterführungen oder auch U-Bahntunnel überflutet. Zukünftig ist es daher zu erwarten, dass das Überflutungsrisiko zunimmt und die Folgen von Überflutungen eine noch größere Bedeutung für Mensch und Umwelt einnehmen werden.

Präventionsmaßnahmen sind daher nicht nur gesamtstädtisch, sondern ebenfalls kleinräumig auf Grundstücksebene umzusetzen.

Legislations and standards

Für die Bewirtschaftung von Niederschlagswasser auf Grundstücken liegen Technische Regelwerke und Normen (DIN-EN 752, DIN 1986, DWA-A 118) vor. Diese beschreiben eine Vielzahl der Bewirtschaftungsarten durch Entwässerungssysteme und den Umgang mit Starkregen, der zur Überlastung solcher Anlagen führen kann.

Vorrangiges Ziel der DIN 1986 ist die Einleitung von nicht nachteilig verunreinigtem Regenwasser in die Kanalisation zu reduzieren. Anlagen der Regenwasserbewirtschaftung müssen so bemessen werden, dass ein ausreichender Schutz vor unplanmäßiger Überflutung gegeben und den Folgen von Überflutungen entgegenzuwirken ist.  

Die DIN-EN 752 beinhaltet Bemessungsvorgaben für die Überstaufreiheit. Das gilt sowie für Kanalnetze und Stauräume als auch für dezentrale Regenwasserbewirtschaftungsanlagen oder Straßengräben. Der Nachweis der Regenentwässerung erfolgt für Grundstücksflächen durch einen Bemessungsregen mit einer Wiederkehrzeit von T ≥ 2 Jahre sowie für Dachflächen mit T ≥ 5 Jahre. Zur Ermittlung der Bemessungsregen stehen die Werte nach KOSTRA-DWD 2000 (Koordinierte Starkniederschlags-Regionalisierungs-Auswertungen) zur Verfügung.

Die DIN 1986-100 fordert für Grundstücke mit mehr als 800 m² abflusswirksamer Fläche die Durchführung eines Überflutungsnachweises für ein Niederschlagsereignis mit einer Wiederkehrzeit von mindestens T = 30 Jahren. Liegt ein hoher Befestigungsgrad des Grundstücks sowie ein Anteil an Dachflächen und nicht schadlos überflutbaren Flächen (Innenhöfe) > 70% vor, so ist der Nachweis für ein 100 jährliches Regenereignis zu führen. Nachzuweisen ist, dass die Differenz zwischen dem in der Anlage gespeicherten Volumen (dimensioniert bspw. auf T = 5 Jahre) und dem Volumen des jeweilig Extremniederschlagsereignisses (T = 30 oder 100 Jahre) auf dem Grundstück - durch Hochborde, Mulden oder im Relief -  schadlos zurückgehalten wird. Alternativ kann sie auch an der Oberfläche durch Ableitung auf Straßen oder Geländemulden entwässert werden.

Beispiel für den "schadlosen" Einstau eines Grundstücks nach Starkregen

Überflutungsnachweis

Maßgebliche Jährlichkeit für den Überflutungsnachweis

Nach Abschnitt 14.9.2 der DIN ist für Grundstücke > 800 m² abflusswirksamer Fläche ein Sicherheitsnachweis gegen schadlose Überflutung mit einem mindestens 30-jährigem Regenereignis zu führen. Liegt der Anteil der Dachflächen und nicht schadlos überflutbaren Flächen (z. B. auch Innenhöfe) über 70%, so ist die Überflutungsprüfung sogar für ein 100- jährigem Regenereignis durchzuführen.

Gemäß  der Formulierung „mindestens 30-jährig“ sollte bei besonders kritischen Situationen oder besonderen Gefährdungen (z.B. kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser, Seniorenheime oder Kindergärten) die maßgebliche Jährlichkeit mit dem Auftraggeber bzw. der Aufsichtsbehörde abgestimmt werden. Ist ein außergewöhnliches Maß an Sicherheit erforderlich, ist eine Jährlichkeit des Berechnungsregens größer als 30 Jahre zu wählen (Abschnitt 14.9.3).

Durchführung der Überflutungsnachweise

In einem Überflutungsnachweis nach DIN 1986-100 (Abschnitt 14.9.3) muss nachgewiesen werden, dass die Differenz zwischen der anfallenden Regenwassermenge bei einem mindestens 30-jährlichen Regenereignis und dem 2‑jährlichen Bemessungsregen schadlos auf dem Grundstück zurückgehalten werden kann. Die entsprechende Formel (20) auf Seite 84 lautet:

mit

VRück       die zurückzuhaltende Regenwassermenge, in m³

D            die maßgebende Regendauer, in Minuten (Details s.u.)

Ages        die gesamte befestigte Fläche des Grundstücks, in m², d. h. Ages = ADach + AFaG.

ADach       die gesamte Gebäudedachfläche, in m²

AFaG       die gesamte befestigte Fläche außerhalb der Gebäude, in m²

C            der Abflussbeiwert

 

Bei der Anwendung dieser Formel ist zu berücksichtigen, dass die Angaben für die Jährlichkeiten entsprechend den o.a. Ausführungen auch höher liegen können, also z.B. T=100 a für das Starkregenereignis oder T=5 a für den Bemessungsregen. Im Text in Abschnitt 14.9.3 der DIN 1986 ist dies entsprechend formuliert. Die Zahlen „30“ und „2“ in Formel (20) der DIN sind also als Platzhalter für die tatsächlich gewählten Jährlichkeiten zu verstehen.

Wichtig ist weiterhin, dass bei der Bestimmung des Abfluss bei Starkregen (T>30 a) keine Abminderung durch Abflussbeiwerte erfolgt. Andererseits werden unbefestigte Flächen gemäß dieser Formel nicht berücksichtigt (was gerade bei schlecht durchlässigen Böden oder Hanglagen durchaus kritisch zu sehen ist).

Maßgebliche Dauerstufe für den Überflutungsnachweis

In Bezug auf die maßgebliche Dauerstufe für den Überflutungsnachweis heißt es auf Seite 84 der DIN:

„D: die kürzeste maßgebende Regendauer, in Minuten, für die Bemessung der Entwässerung außerhalb der Gebäude nach DWA-A118, Tabelle 4, sonst D = 5 Minuten für einen Berechnungsregen, dessen Jährlichkeit einmal in 2 Jahren nicht unterschritten werden darf (siehe A.2, Tabelle A.2)“

Diese Formulierung hat in der Praxis häufig zu Unklarheiten geführt. Tabelle 4 im DWA A 118 listet die maßgebende kürzeste Regendauer für verschiedene Geländeneigungen und Befestigungsgrade auf. Es mag haarspalterisch klingen, aber „kürzeste maßgebende Regendauer“ und „maßgebende kürzeste Regendauer“ sind nicht das Gleiche, sondern vielmehr sehr unterschiedliche Größen.

Die kürzeste maßgebende Regendauer resultiert aus der Anwendung der Bemessungsvorschriften gemäß Abschnitt 14.9.4 der DIN oder auch der DWA Arbeitsblätter-A 117 oder -A 138. Dazu werden für verschiedene Dauerstufen die notwendigen Speichervolumina bestimmt. Die maßgebende Regendauer ist die mit der größten Differenz. 

Die maßgebende kürzeste Regendauer ist dagegen nur die kleinste Dauerstufe (5, 10 oder 15 Minuten) mit der die Bemessung der Rückhalteräume begonnen wird und vernachlässigt die nach den DWA Arbeitsblättern durchzuführende Betrachtung zur Suche nach der maßgebenden Regendauer. Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht diesen Unterschied.

Einen Überflutungsnachweis mit schadlosem Rückhalt nur für Dauerstufen von 5, 10 oder 15 Minuten zu führen, wäre fachlich nicht korrekt und auch nicht im Sinne der technischen Regelwerke (DIN 1986-100, DWA- A117, DWA-A 138). Grundprinzip bei Bemessung von Rückhaltesystemen ist es immer, den ungünstigsten Fall zu ermitteln. Dieser wird im Regelfall bei deutlich längeren Einstaudauern auftreten. Typisch sind maßgebliche Dauerstufen von einigen Stunden. Diese Einschätzung teilt auch die DWA-Arbeitsgruppe ES-3.1 in ihrem Arbeitsbericht von 2011 [4].

Kapitel 14.9.4 mit Gleichung 22 berücksichtigt nun die Bemessung nach allen Dauerstufen. Diese wird aber auf die Jährlichkeiten der Kanalnetzbemessung eingeschränkt. Für den Überflutungsnachweis ist aber die für diesen zu betrachtende Jährlichkeit zu wählen und für alle Dauerstufen das maximal benötigte Volumen zu ermitteln.
Interessanterweise wird nur im Kommentar der Verfasser zur DIN [5] der Hinweis auf die fachlich richtige Vorgehensweise gegeben. Hierbei wird in Gleichung 14-23 (eine modifizierte Gleichung 21 aus der DIN 1986-100) auf die Verwendung von maßgebenden Dauerstufen >15 min bei einem Überflutungsverweis mit Versickerungsanlagen hingewiesen. Gleiches sollte auch für Rückhaltebecken mit gedrosseltem Abfluss gelten.

Abflussbeiwerte

Allerdings kommt es an dieser Stelle zur Verwirrung hinsichtlich der zu verwendenden Abflussbeiwerte.
In der DIN 1986-100 (2016) werden sowohl ein mittlerer Abflussbeiwert cm für die Bemessung als auch ein Spitzenabflussbeiwert cs für die Verwendung beim Überflutungsnachweis eingeführt. Im Kommentar zur DIN ist allerdings Bezug nehmend auf die Veröffentlichung der Arbeitsgruppe der DWA von einem phim die Rede. Die DWA Arbeitsgruppe verwendet dies allerdings, der Logik der dortigen Regelwerke folgend, als floatierenden Wert. Für die Bemessung gilt ein anderer Wert als für einen Überflutungsnachweis. Dieser kann dafür sogar, insbesondere wenn natürliche Flächen nicht betrachtet werden, für alle versiegelten Flächen auf 1 gesetzt werden. Hierunter ist also nicht der cm der DIN 1986-100 zu verstehen, sondern eher der cs zu verstehen. Allerdings weichen die Werte voneinander ab. Das hat zur Folge dass der Planer und die Behörden die Werte projektbezogen festlegen können.

Literatur

[1]       BBSR (2013): Fallstudiengestützte Expertise „Klimaanpassungsstrategien zur Überflutungsvorsorge verschiedener Siedlungstypen“, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, www.bbsr.bund.de/nn_21890/BBSR/DE/FP/ExWoSt/Studien/2012/Ueberflutung/01__Start.html

[2]       DIN 1986-100:2016-12, Gebäude- und Grundstücksentwässerung, Planung und Ausführung  und DIN EN 12056-4, 6. Überarbeitete Auflage, Beuth Verlag, 2016-12 hier: Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 752 und DIN EN 12056

[3]       DIN EN 752:2008-04,  Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden

[4]       DWA-Arbeitsgruppe ES-3.1, Erkenntnisse und Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitsblatts DWA-A 138 , Teil 2: Quantitative Hinweise, Arbeitsbericht der DWA-Arbeitsgruppe ES-3.1 „Versickerung von Niederschlagswasser“, Korrespondenz Abwasser, Abfall · 2011 (58) · Nr. 5

 


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