Sieker
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Die Regenwasserexperten

Wasserhaushalt

Problematik der Flächenversiegelung

Die Flächenversiegelung hat seit den 50er Jahren weltweit massiv zugenommen. Im Zuge der Urbanisierung werden bestehende Siedlungsgebiete verdichtet und gleichzeitig Außenbereiche immer stärker ausgedehnt. Diese Entwicklung ist nicht nur in den so genannten Megacities ein Problem, sondern auch in Deutschland zu beobachten.
Betrug der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland 1997 noch 11,7 %, beträgt er 2010 bereits 13,4 %. Auch wenn sich der Anstieg leicht abgeschwächt hat, beträgt der durchschnittliche Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland ca. 93 ha pro Tag. Es kann davon ausgegangen werden, dass von den derzeit 4.6 Millionen ha (12,8%) Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland ungefähr die Hälfte, d.h. ca. 2.3 Mill. ha (6,4 %) versiegelt ist, davon ca. 50% überbaut (UBA 2004). Dabei entfällt der größte Anteil mit rund 80 % auf Siedlungserweiterungen, nur ca. 20% sind auf neue Verkehrsflächen zurückzuführen. Da knapp die Hälfte des Wachstums der Verkehrsflächen auf den Bau von Erschließungsstraßen für neue Siedlungsgebiete zurückzuführen ist, verursacht das Wachstum der Siedlungsflächen direkt oder indirekt rund 90 Prozent der gesamten Flächeninanspruchnahme (UBA 2004).
Auch wenn seitens der Politik Einigkeit in dem Ziel besteht, den Flächenverbrauch in Deutschland deutlich auf 30 ha pro Tag im Jahr 2020 (BBR 2006) zu reduzieren, so wird der Anteil der versiegelten Fläche in Deutschland dennoch weiter ansteigen. Und selbstverständlich müssen auch diese zusätzlichen Siedlungs- und Verkehrsflächen ordnungsgemäß entwässert werden. Insofern kommt dem verantwortungsvollen Umgang mit den Regenwasserabflüssen, insbesondere von den Neuerschließungsgebieten, eine besondere Bedeutung zu.

Konventionelle Regenwasserentwässerung

Bis vor einigen Jahren erfolgte die Entwässerung von versiegelten Flächen fast ausschließlich über Kanalisationen entweder im Misch- oder Trennverfahren. Das Ziel, den Bürgern einen weitreichenden „Entwässerungskomfort“ zu bieten, wird mit diesem System auch zweifelsfrei erfüllt. In den letzten Jahren treten allerdings auch die Nachteile der Ableitungspraxis in den Vordergrund. Dabei werden insbesondere zwei Aspekte diskutiert, die stoffliche und die hydraulische Belastung von Fließgewässern.
Ein weiterer Nachteil der bisherigen Ableitungspraxis wird dagegen in der Fachwelt bislang kaum beachtet: die Auswirkung auf den Wasserhaushalt. Versiegelung und Ableitung bewirken nicht nur höhere Abflussspitzen und größere Abflussvolumen, sondern gleichzeitig auch eine Reduzierung von Grundwasserneubildung und Verdunstung (siehe Abbildung "Veränderung des Wasserhaushaltes durch Urbanisierung").

Veränderung des Wasserhaushaltes durch Urbanisierung

Die zunehmende Urbanisierung in Verbindung mit einer konventionellen Regenentwässerung verschärft damit nicht nur die Hochwasserproblematik, sondern führt gleichzeitig auch zu einer Absenkung der Grundwasserspiegel und zu Verringerung der Niedrigwasserabflüsse. Hinzu kommt ein negativer Beitrag zur Aufheizung der Innenstädte („Urban Heat Effect“) durch Rückgang der Verdunstung.
Traditionell wird versucht, mit so genannten End-Of-Pipe-Maßnahmen den negativen Auswirkungen von Versiegelung und Ableitung zu begegnen. Durch Rückhaltebecken und zentrale Behandlungs­maßnahmen können niederschlagsbedingte Emissionen und auch die Abflussspitzen reduziert werden, wodurch allerdings erhebliche Kosten entstehen.
Der Eingriff in den Wasserhaushalt kann mit diesen konventionellen Methoden dagegen prinzipiell nicht behoben werden. Sind die Niederschlagsabflüsse erst einmal abgeleitet, ist eine nachträgliche Kompensation hinsichtlich Grundwasserneubildung und Verdunstung praktisch nicht möglich.

Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung

Eine grundsätzlich andere Strategie kann unter dem Begriff naturnahe oder dezentrale Regenwasserbewirtschaftung zusammengefasst werden. Bei dieser Methode wird zumindest ein Teil der Niederschlagsabflüsse direkt vor Ort dem Wasserkreislauf wieder zugeführt. Damit kann im Gegensatz zu den End-Of-Pipe-Maßnahmen neben Rückhaltung und Behandlung auch eine weitgehende Annäherung an den natürlichen Wasserhaushalt erreicht werden.
Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung (siehe Abbildung "Bausteine der Regenwasserbewirtschaftung"), insbesondere Versickerungsanlagen und Mulden-Rigolen-Systeme, aber auch Regenwassernutzungssysteme und Dachbegrünungen, haben sich in den letzten Jahren in der bundesdeutschen Siedlungswasserwirtschaft etabliert.


Bausteine der Regenwasserbewirtschaftung

 

 

Die Erfahrungen aus zahlreichen Modellprojekten haben zu einem erheblichen Wissenszuwachs hinsichtlich des Baus und Betriebs sowie der wasserwirtschaftlichen Wirkungen geführt (Sieker, Kaiser et al. 2006). Für viele Maßnahmen existieren bereits allgemein anerkannte Regeln der Technik (DWA-A 138 2005). Auch die positive Wirkung dieser Maßnahmen auf Wasserhaushalt und Stoffeinträge in die Gewässer ist allgemein akzeptiert; die ökonomischen Vorteile sind vielfach untersucht und belegt worden (Rudolph und Balke, 2000).
1996 wurde mit dem Einführung des §51a in das Landeswassergesetz Nordrhein-Westfalen die Regenwasserversickerung für neu versiegelte Flächen auch rechtlich verankert. Andere Bundesländer (z.B. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin) haben in den darauf folgenden Jahren nachgezogen. Die Regenwasserversickerung wurde dabei nicht nur für gleichwertig, sondern für Neubaugebiete zur Vorzugslösung erklärt.
Dieser Trend ist im Übrigen nicht auf Deutschland begrenzt. Auch in anderen Ländern (z.B. USA, Niederlande, Großbritannien) werden unter den Stichworten „Stormwater Manage­ment“, „BMP“, „SUD“ , „LID“ oder „WSUD“ zunehmend alternative Strategien im Umgang mit dem Regenwasser verfolgt (Förster, Thévenot et al., 2004). Ein internationales Beispiel für ein BMP zeigt die Abbildung "'Rain-Garden' in Traverse City, Michigan, USA".

Rain-Garden in Traverse City, Michigan, USA

Für Neubauplanungen wird die naturnahe Regenwasserbewirtschaftung zukünftig das Standardverfahren sein. Aber auch die Umsetzung im Siedlungsbestand wird zunehmend diskutiert. Dass eine Umsetzung im Siedlungsbestand in gewissem Umfang möglich ist, zeigen zahlreiche Modellprojekte z.B. im Emschereinzugsgebiet (Emschergenossenschaft, 2003) oder im Berliner Raum. Auch die Landeshauptstadt München ist diesbezüglich seit langem ein Vorreiter (s. Abbildung "Pressemitteilung des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft").

Pressemitteilung des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft

Neben den klassischen Regenwasserbewirtschaftungsverfahren (Versickerung, Dachbegrünung, Regenwassernutzung) werden ständig neue verfeinerte Verfahren entwickelt. Ein Beispiel dafür ist das System Innodrain®, das eine Weiterentwicklung des Mulden-Rigolen-Systems darstellt (Abbildung "Innodrain®-Element in Hoppegarten bei Berlin"). Auf der internationalen Leitmesse der Wasserwirtschaft, der IFAT in München, nehmen Produkte zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung inzwischen einen breiten Raum ein.

Innodrain®-Element in Hoppegarten bei Berlin

Ausgeglichene Wasserbilanzen als Planungsziel

Traditionellerweise werden Entwässerungsmaßnahmen in erster Linie auf die Zielgröße Entwässerungssicherheit (Überstauhäufigkeit, Verkraften eines Bemessungsregens) hin bemessen. In den letzten Jahren sind die Zielgrößen „stoffliche Belastung des Gewässers“ und „hydraulischer Stress“ hinzugekommen.
Der Wasserhaushalt eines Gebietes hat dagegen in der Planungspraxis so gut wie keine Bedeutung, obwohl die bisherige Praxis der weitgehenden Ableitung von Niederschlagsabflüssen massive Aus­wirkungen auf die Wasserbilanz eines Einzugsgebietes hat. Dennoch sind dem Verfasser in seiner langjährigen Planungspraxis bislang noch keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Wasserbilanz gemacht worden. Das Projekt München-Freiham stellt diesbezüglich ein Novum dar.
Im Wasserhaushaltsgesetz (WHG 2010) spielt der Wasserhaushalt dagegen eine wichtige Rolle. In §5 „Allgemeine Sorgfaltspflichten“ Abs. 1 wird auf die Bedeutung verwiesen:

„Jede Person ist verpflichtet, bei Maßnahmen, mit denen Einwirkungen auf ein Gewässer verbunden sein können, die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, …,3.  um die Leistungsfähigkeit  des Wasserhaushalts zu erhalten …“.

Auch im Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG 1998) findet sich in §4 die Forderung, dass „Jeder, der auf den Boden einwirkt, hat sich so zu verhalten, dass schädliche Bodenveränderungen nicht hervorgerufen werden“. Der Begriff Boden beinhaltet dabei nach §2 BBodSchG auch den Bodenwasserhaushalt.
Eine Aufrechterhaltung des natürlichen Wasserhaushaltes wird also vom Gesetzgeber als erstrebens­wert angesehen. Maßgebende Zielgrößen für die Planung von Entwässerungsanlagen in untergesetzlichen Regelungen (Verordnungen, technische Regeln) sollten sich an diesem vorgegebenen Leitbild orientieren. Vor diesem Hintergrund wurde vorgeschlagen, die langjährige, mittlere Wasserbilanz als Zielgröße für Planungen einzuführen (Sieker et. al., 2004). Eine konkrete Formulierung könnte z.B. wie folgt lauten:
„Der Wasserhaushalt des Einzugsgebietes soll durch die siedlungswasserwirtschaftlichen Maßnahmen, für die eine Erlaubnis beantragt wird, möglichst wenig gegenüber dem natürlichen Wasserhaushalt verändert werden. Eine tolerierbare Veränderung des Wasserhaushaltes ist dann als gegeben anzunehmen, wenn die Einzelkomponenten Abfluss und Versickerung der langjährigen mittleren Wasserbilanz des Einzugsgebietes um nicht mehr als 10 Prozentpunkte vom natürlichen Zustand abweichen. Der Anteil der Verdunstung darf dementsprechend um nicht mehr als 20 Prozentpunkte vom natürlichen Zustand abweichen“.
Die Abbildung "Vorschlag einer Anforderung für das Kriterium 'Wasserbilanz'" verdeutlicht diesen Vorschlag grafisch.


Vorschlag einer Anforderung für das Kriterium Wasserbilanz

Die Wasserbilanz als Kriterium einzuführen, hat deutliche Vorteile gegenüber dem Versickerungsgebot, wie es z.B. in Nordrhein-Westfalen oder auch in Baden-Württemberg besteht. Diese Paragraphen schreiben bestimmte Techniken (nämlich Versickerungsanlagen) vor und lassen dabei örtlichen Bedingungen, insbesondere die Bodenverhältnisse, außer Acht. Das Wasserbilanz­kriterium entspricht damit auch der generellen Strategie des Deutschen Umweltrechtes, Ziele anstelle von Techniken vorzugeben. Dies lässt flexible Lösungen zu und fördert die Innovation.

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