Sieker
Sieker
Die Regenwasserexperten

Formulierung von Zielen

Die Formulierung von Zielen für die Regenwasserbewirtschaftung ist keine triviale Aufgabe. Um den Anforderungen eines modernen integrierten Umweltschutzes gerecht zu werden, ist ein schlüssiges Gesamtmodell aus übergeordneten Leitbildern und daraus abgeleiteten Entwicklungszielen sowie korrespondieren Zielgrößen und Bemessungsverfahren erforderlich.

Leitbilder

Die Vorgabe von Zielgrößen durch den Gesetzgeber dient dazu, bestimmte Qualitätsniveaus für Umweltziele, z. B. hinsichtlich der Gewässergüte oder des Grundwasserdargebotes, zu erreichen. Grundlage der Formulierung von Zielgrößen muss die Definition von Leitbildern sein. Leitbilder dienen als Referenzzustand für die Beurteilung z. B. des Gewässerzustandes oder der Gewässerbelastung. Sie beschreiben nur den Idealzustand, nicht aber ein konkretes Sanierungsziel (SCHNEIDER, 1999). Die Formulierung von Leitbildern ist nicht alleinige Aufgabe der Fachleute, sondern der Politik bzw. der Gesellschaft als Ganzes (Sieker, 2000).

In Bezug auf die Wasserwirtschaft im Allgemeinen und die Regenwasserbewirtschaftung im Besonderen finden sich Leitbilder u.a. im Grundgesetz, in der EU-WRRL und im WHG. Gewässerschutz als Teil des Umweltschutzes ist als Staatsziel im Grundgesetz verankert (Art. 20a GG). Die Formulierungen zum Gewässer- und Hochwasserschutz in §5 WHG (Allgemeine Sorgfaltspflichten) und §6 (Allgemeine Grundsätze der Gewässerbewirtschaftung) sowie Artikel 1 der EU-WRRL (Ziele) haben ebenfalls den Charakter von Leitbildern.

An allgemeinen, gesetzlich verankerten Leitbildern mangelt es in Deutschland nicht. Beispiele sind der Erhalt der Leistungsfähigkeit des Wasserhaushalts in §5 WHG, die Rückhaltung des Wassers in der Fläche (§6 WHG) oder die nachhaltige Wassernutzung (Art. 1 WRRL). Allerdings sind diese allgemeinen Grundsätzen für eine konkrete Planung wie z.B. eine Entwurfsplanung nicht präzise genug. Insbesondere erfolgt keine Abwägung zwischen Umweltschutzzielen einerseits und technischen Möglichkeiten bzw. Kosten-Nutzen-Aspekten andererseits.

Je konkreter die Planungsebene wird, desto mehr muss das Leitbild konkretisiert werden. Erfolgt diese Konkretisierung nicht, so bleibt das Leitbild letztendlich bei der Planung konkreter Maßnahmen unberücksichtigt. Das Leitbild muss in die Formulierung konkreter Entwicklungsziele bzw. Zielgrößen einfließen und schließlich auch bei der Maßnahmenwahl bzw. dem Bemessungsverfahren berücksichtigt werden. Die nachfolgende Grafik zeigt diese Konkretisierung am Beispiel der Kläranlagenplanung.
 
 

Beispiel für Umsetzung von Umweltschutzzielen in die Praxis (Sieker, 2000)

Entwicklungsziele

Grundlage für die Formulierung konkreter Zielgrößen ist die Vorgabe eines Entwicklungsziels. Im Gegensatz zum Leitbild werden hier technische Möglichkeiten und Kosten-Nutzen-Aspekte berücksichtigt. In diesem Sinne ist die Zielvorgabe des guten ökologischen Zustandes gemäß EU-Wasserrahmenrichtlinie ein Entwicklungsziel. Es wird eben nicht der sehr gute Zustand bzw. der Referenzzustand gefordert, sondern "nur" der gute Zustand. Damit beinhaltet das Entwicklungsziel bereits einen Kompromiss zwischen Umweltschutz und Gewässernutzung bzw. Wirtschaftlichkeit.

Der Nachweis, ob ein Entwicklungsziel erreicht worden ist, kann durch eine immissionsorientierte Betrachtung - Messung oder Modellierung - erbracht werden. Aus einer immissionsbezogenen Betrachtung können jedoch  emissionsorientierte Zielgrößen resultieren. Die EU-WRRL fordert für Punktquellen und diffuse Quellenden den sogenannten kombinierten Ansatz (Art. 10). Danach müssen die Mitgliedsstaaten Emissionen auf der Grundlage der besten verfügbaren Technologien begrenzen.
 

Zielgrößen

Entwicklungsziele werden durch Zielgrößen so konkretisiert, dass sie für eine konkrete Planung handhabbar werden. Beispielsweise werden in Anhang 1 der Abwasserverordnung zulässige Ablaufwerte für Kläranlagen definiert (siehe o.a. Grafik). Die Überlegung dabei ist, dass wenn alle Kläranlagen diese Werte einhalten, dann auch das Entwicklungsziel des guten ökologischen Zustandes möglich ist - zumindest in Bezug auf Einleitungen aus Kläranlagen.

Zielgrößen sollten das Entwicklungsziel und damit indirekt das Leitbild widerspiegeln. Dies klingt naheliegend, ist jedoch in der Realität oft nicht der Fall. So wird z.B. die Zielgröße für die Auslegung von Mischwasserbecken nach DWA A128 kritisch diskutiert, da die CSB-Jahresfracht als zentraler Parameter nicht sehr aussagekräftig für die Erreichung des guten Gewässerzustandes ist. Viel zielführender sind z.B.  Überlaufhäufigkeit oder die Jahresfracht der abfiltrierbaren Stoffe (AFS).

Die Vorgabe von Zielgrößen mit den zugehörigen Grenzwerten sollte vom Gesetzgeber erfolgen, so wie es z.B. in der Abwasserverordnung mit ihren Anhängen der Fall ist. Die Technische Regel (in dem Fall das DWA A131) beschreibt dann ein Bemessungsverfahren für eine technische Maßnahmen (hier eine Belebungsanlage), mit der diese Zielgröße sicher eingehalten werden können. Leider werden in Bezug auf die Regenwasserbewirtschaftung Zielgrößen von den Fachverbänden definiert - aus Ermangelung einer rechtlichen Vorgabe. So sind z.B. zulässige Emissionen aus Mischwasserüberläufen über das DWA-Regelwerk festgelegt.

Zielgrößen bestimmen ganz entscheidend die Wahl der zur Anwendung kommenden (Regenwasser-)bewirtschaftungsmaßnahmen. Nur wenn für ein Entwicklungsziel (z.B. den leistungsfähigen Wasserhalt) auch eine Zielgröße definiert ist (z.B. in einer Verordnung), wird dieses Ziel auch in der Planung berücksichtigt. So sind beispielsweise für die Entwicklungsziele "Wasserhaushalt" und "Überflutungsschutz" keine konkreten Zielgrößen definiert - und spielen dementsprechend in den meisten Planungen keine Rolle.

Die Unterscheidung von emissions- und immissionsbezogenen Zielgrößen bezieht sich bislang im Wesentlichen auf Aspekte der Wasserqualität. Bei der Planung von Regenwasserbewirtschaftungsmaßnahmen steht jedoch oft die Entwässerungssicherheit im Vordergrund. Dies gilt sowohl für Ableitungssysteme, Versickerungsanlagen oder Speichermaßnahmen wie z. B. Regenrückhaltebecken. Auch bei diesen quantitativen Aspekten lassen sich Zielgrößen bzw. Herangehensweisen unterscheiden, die auf integralen Betrachtungen beruhen (Grundwasserneubildung, Hochwasserabflussspenden) und solche,die eher für das einzelne Objekt gelten (z. B. Überstauhäufigkeiten).

Maßnahmenwahl und Bemessung

Die Auswahl von Maßnahmen, z.B. zur Regenwasserbehandlung, sollte idealerweise durch die Zielgrößen nicht eingeschränkt werden. So werden Innovationen nicht behindert. Auch neue technische Lösungen kommen zur Anwendung, sofern sie die Einhaltung der Zielgrößen ermöglichen.

Leider wurden hier in der Vergangenheit Fehler begangen. So wird im A128 der DWA ein notwendiges Beckenvolumen als Zielgröße definiert. Hier sind im Sinne einer stringenten Methodik gleich zwei Aspekte zu kritisieren. Erstens ist ein Becken(-volumen) eine Maßnahme und kein Ziel an sich. Ziel der Mischwasserbehandlung ist der Gewässerschutz und nicht der Bau von Becken. Zweitens wird die Zielgröße durch einen Fachverband festlegt und nicht durch den Gesetzgeber bzw. die Aufsichtsbehörden. Man stelle sich einmal vor, Tempolimits würden durch den ADAC festgelegt...

Die Bemessungsansätze sollten in regelmäßigen Abständen kritisch überprüft werden , ob sie nochgeeignet sind, die Zielgrößen zu erfüllen und ob die Zielgrößen so gewählt wurden, dass langfristig auch das Entwicklungsziel erreicht werden kann. Hier sind in der momentanen Praxis durchaus Defizite erkennbar.

Zusammenfassende Bewertung

In Bezug auf die Regenwasserbewirtschaftung gibt es bei Zielgrößen und Bemessungsverfahren aktuell (Stand 2015) in Deutschland noch deutliche Defizite. So sind nicht alle Entwicklungsziele (z.B. für den Wasserhaushalt) durch entsprechende Zielgrößen konkretisiert. In der Praxis führt dies dazu, dass diese Ziele bei der Planung nicht beachtet werden. Weiterhin gibt es Zielgrößen, die nicht die eigentlichen Entwicklungsziele repräsentieren und darüber hinaus von Fachverbänden und nicht vom Gesetzgeber festgelegt werden.

Literatur

  • Schneider, S. (1999): Die Gewässergütemodellierung mittels Seriensimulation als Verfahren zum Nachweis der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zur Mischwasserbehandlung unter besonderer Berücksichtigung langsam fließender und gestauter Gewässer, Dissertation am Institut für Wasserwirtschaft, Universität Hannover.

  • Sieker, H. (2000): Generelle Planung der Regenwasserbewirtschaftung in Siedlungsgebieten. Dissertation, Technische Universität Darmstadt.

‹ zurück

 

 

Wegweiser

Nachrichten 1 Fachinformationen 2 Produkte 1
Autor
Prof. Dr.-Ing. Heiko Sieker
+49 3342 3595-0
h.sieker[at]sieker.de